1. Marx-Frühjahrsschule (3.-5.5.2013)
Rechtskritik bei Marx und Paschukanis

In unserer modernen Gesellschaft scheint ein Leben ohne Recht nicht denkbar zu sein. Alle Lebensbereiche von der Mietwohnung bis zur Ausländerbehörde sind juristisch konstituiert. Die Frage, was Recht eigentlich ist – sowohl dem Inhalt als auch der Form nach –, und welche gesellschaftlichen Ursachen es hat, wird in täglichen Auseinandersetzungen und sozialen Kämpfen oft gar nicht mehr gestellt. Woher kommt die Vorstellung, alle Menschen seien frei und gleich? Was steckt hinter der formellen Gleichheit? Wieso nehmen bestimmte gesellschaftliche Beziehungen Rechtsform an? Wie kommt es zur Herausbildung des bürgerlichen Rechts und des modernen Staates?

Die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie erschöpft sich keineswegs in einer Wirtschaftstheorie, sondern versteht sich vielmehr als Versuch einer allgemeinen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft. So finden sich bei Marx Ansätze einer Rechts- und Staatsphilosophie, an die der sowjetische Rechtssoziologe Eugen Paschukanis (1891-1937) anknüpft. Er entwickelt den durch Rechtsverhältnisse vermittelten gesellschaftlichen Zusammenhang aus dem Warentausch heraus. Danach sind kapitalistische Tauschbeziehungen unlösbar mit Rechtsverhältnissen verbunden: Warenbesitzer treten sich als freie und gleiche Rechtssubjekte gegenüber, denn die „Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen“ (Marx).

Das Buch „Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“ von Eugen Paschukanis, das in der theoretisch fruchtbaren Phase der 1920er Jahre entstand, erscheint uns zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Recht auch heute noch relevant. Die Marx-Frühjahrsschule lädt Euch zur Lektüre und Diskussion des Werkes ein.

Der Wochenendworkshop wird von drei Podiumsdiskussionen eingerahmt. Wir nehmen uns den ganzen Samstag Zeit, in Kleingruppen, begleitet von zwei Teamer_innen, große Auszüge des Buches „Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“ zu diskutieren. Dabei orientieren wir uns an dem bewährten Format der Marx-Herbstschule und bieten Arbeitsgruppen für Teilnehmende mit verschiedenen Vorkenntnissen an. Das Wochenendseminar richtet sich gleichermaßen an Fortgeschrittene und Einsteiger_innen.

Die Marx-Frühjahrsschule ist eine Veranstaltung in Kooperation mit der AG Rechtskritik, dem AKJ-Berlin (Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin), Helle Panke e.V. Rosa Luxemburg Stiftung Berlin, der Rosa Luxemburg Stiftung und der Gruppe TOP B3rlin, die im …umsGanze!-Bündnis organisiert ist.

Reader

Im Reader befinden sich folgende Textauszüge:

1. Eugen Paschukanis:
Allgemeine Rechtslehre und Marxismus (Auszüge)

2. Karl Marx:
Einleitung zu den Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie (Auszüge), MEW 13

3. Karl Marx:
Das Kapital – Kritik der Politischen Ökonomie (Auszüge), MEW 23

Programm

Freitag, 3.5.2013

16.30 Uhr: Anmeldung
17.00-19.00 Uhr: Begrüßung und Einführung: Recht bei Marx und Paschukanis – Eine Einführung (mit Andreas Harms, Andreas Arndt und Andrea Maihofer)

Am Freitagabend findet ein einführendes Podium statt, auf dem über Leben, Werk und Rezeptionsgeschichte von Paschukanis (Andreas Harms) und sein methodisches Vorgehen (Andreas Arndt) gesprochen wird. Mit einer generellen Einführung zu Marx und Recht (Andrea Maihofer) werden außerdem die Fragen im Marx’schen Werk thematisiert, an die Paschukanis anknüpft. Wer war Eugen Paschukanis und wo positionierte er sich in den Debatten seiner Zeit? Wie geht Paschukanis methodisch vor? Inwiefern lassen sich schon bei Marx Ansätze einer Rechtskritik finden?

19.00-19.30 Uhr: Pause
19.30-21.00 Uhr: Workshopphase I

Samstag, 4.5.2013

9.30 bis 13.00 Uhr: Workshopphase II
13.00 bis 14.00 Uhr: Mittagspause – Catering in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung
14.00 bis 17.30 Uhr: Workshopphase III
20.00 Uhr: Abendveranstaltung (Humboldt Universität Berlin, Unter den Linden 6, Senatssaal)

Woher kommt der Staat?
Zur Herausbildung und Form von Recht, Staat und Ware
(mit Ingo Elbe und Heide Gerstenberger)

Am Abend setzen wir uns im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Humboldt-Universität mit den Zusammenhängen von Waren-, Rechts- und Staatsform (Ingo Elbe) sowie der historischen Herausbildung des bürgerlichen Staates (Heide Gerstenberger) auseinander. Ist die Gleichheit aller Menschen ein oberflächlicher Schein oder die Geschäftsgrundlage kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse? Was sind die historischen Entstehungsbedingungen moderner Staatlichkeit?

Eintritt: 1,50 Euro

Sonntag, 5.5.2013

10.00 bis 12.00 Uhr: Kritik der Kritik – Kontroversen um Paschukanis (mit Andreas Fisahn, Ozren Pupovac und Simon Birnbaum)

Zum Abschluss der Tagung am Sonntag laden wir zu einer Debatte (Andreas Fisahn, Ozren Pupovac und Simon Birnbaum) ein, die sich gängigen Kritikpunkten an Paschukanis Thesen widmet. Sind sie Ausdruck einer formalistischen Zirkulationsfixiertheit oder Grundlage einer fundierten materialistischen Rechtstheorie? Verkennt Paschukanis das emanzipatorische Potential des Rechts in sozialen Auseinandersetzungen? Was sind die blinden Flecken seiner Theorie? Welche ideologiekritischen Anschlüsse eröffnet sein Ansatz?

12.00 bis 13.00 Uhr: Abschlussrunde/strong