7. Marx-Herbstschule (24.-26.10.2014) Klasse
Der Begriff der „Klasse“ hat eine lange und dramatische Geschichte. Sie beginnt mit der Herausbildung der Idee und des Begriffs „der Klasse“ im Singular, verbunden mit revolutionären Hoffnungen und Ansprüchen, und die Geschichte endet scheinbar, nach einer Reihe von Kritiken und Verschiebungen, Erweiterungen und Ersetzungen des Klassenbegriffs, mit dem totalen Verlust dieser Ansprüche und Hoffnungen. Auch der Begriff der Klasse schien damit erledigt. Doch spätestens seit dem offenen Ausbruch der Finanzkrise 2008, der Rückkehr des Politischen in Gestalt weltweiter Massenproteste seit 2011 und dem Ende des „Endes der Geschichte“ ist auch der Begriff der Klasse zurückgekehrt. Allerdings stellt sich die Klasse nach ihrer langen und wechselvollen Geschichte recht uneinheitlich dar: Es gibt Reformulierungen, Ausweitungen und Verschiebungen (Multitude, Subalterne, Ausgeschlossene etc.), es gibt, vor allem von feministischer, anarchistischer und postkolonialer Seite, eine anhaltende Kritik, es gibt aber auch eine erneute Selbstverständigung über den „klassischen“ Klassenbegriff. Wie immer die Rückkehr indes auch ausfällt – der Begriff der Klasse führt letztlich zurück zu Marx. Allerdings fällt auch bei Marx selbst der Begriff unterschiedlich aus, im Manifest der Kommunistischen Partei anders als in der Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, und in den Philosophischen Manuskripten anders als im Kapital. Die 7. Marx-Herbstschule wird sich in den AG’s auf die zentralen Passagen des Kapitals konzentrieren und den Klassenbegriff entlang ausgewählter Passagen aus allen drei Bänden diskutieren. Das Rahmenprogramm wird dagegen zum einen den historischen Kontext der Entstehung des Klassenbegriffs betrachten und zum anderen die Auswirkungen des Klassenbegriffs und die Kritik an ihm verfolgen.
Am Freitagabend wird Christian Frings mit einem Vortrag zur Herausbildung der Idee und des Begriffs der „Klasse“ in das Thema der Herbstschule einführen, am Samstagabend wird Dipesh Chakrabarty den Umgang der Postcolonial Studies mit dem Klassenbegriff vorstellen, und am Sonntag wird Ceren Türkmen anknüpfend an die Diskussionen sich der Frage nach der Klasse im Postfordismus zuwenden.
Programm
Freitag, 24.10.2014
16.30 Uhr: Anmeldung
17-19 Uhr: Begrüßung und Einführung
Christian Frings: Wie “Klasse” gefährlich wurde – begriffs- und sozialgeschichtliche Voraussetzungen von Marx
Renate Mohl: Zum Begriff “Klasse” im Kapital und dem Verhältnis von Theorie und Geschichte (Vorstellung der Textauswahl des Readers)
19-19.30 Uhr: Pause
19.30-21 Uhr: Start der Arbeitsgruppen
Samstag, 25.10.2014
10-12.15 Uhr: Fortsetzung der Arbeitsgruppen
12.15-13 Uhr: Gemeinsames Plenum
13-14 Uhr: Mittagessen
14-17.30 Uhr: Fortsetzung der Arbeitsgruppen
19 Uhr: Abendveranstaltung
Rethinking Working Class. Postcolonial Perspectives on a Revolutionary Concept
Mit Prof. Dipesh Chakrabarty (University of Chicago)
Ort: Münzenbergsaal, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring Platz 1, Berlin
Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty ist einer der profiliertesten Theoretiker postkolonialer Kritik. In Europa wurde vor allem seine Studie “Provincializing Europe” breit diskutiert. Chakrabarty untersucht darin, wie “Europa im historischen Wissen als stillschweigender Maßstab fungiert”: Die politischen Begriffe und Bilder des “alten Kontinents” beherrschen noch immer den globalen Diskurs, und schreiben so die koloniale und imperialistische Macht Europas fort: Gemessen am europäischen Standard von Bürgerlichkeit, Aufklärung, Liberalismus, Staat und Kapitalismus erscheinen nicht-europäische Gesellschaften meist als defizitär und zurückgeblieben. Inwieweit gilt diese Diagnose auch für den Begriff der Klasse, mit dem sich die diesjährigen Marx-Herbstschule beschäftigt?
Bei Marx, im Realsozialismus und in den sozialistischen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts galt das Klassenverhältnis als zentrale Konfliktlinie. Der Kampf um Befreiung musste als Klassenkampf geführt werden. Dieser Primat des Klassenbegriffs wurde im Realsozialismus aber selbst zur Herrschaftstechnik. Er zementierte das Deutungsmonopol der Staatsparteien und verdeckte Machtverhältnisse, die sich nicht nach dem klassischen “Widerspruch von Kapital und Arbeit” strukturierten: Nationalismus, Rassismus und koloniale Ausbeutung, Antisemitismus, patriarchale [und heteronormative] Geschlechterverhältnisse, und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Seit den 1960er Jahren versuchen poststrukturalistische und postkolonialen Theoretiker*innen, solche quer zum Klassenbegriff verlaufenden Herrschaftsbeziehungen greifbar zu machen – meist in Abgrenzung zu marxistischen Kategorien und Organisationsansätzen. Mit dem Kollaps des Realsozialismus 1989ff. haben sich die Bedingungen dieser Kritik erneut gewandelt: Der Triumph des neoliberalen Kapitalismus hat auch den Klassenbegriff erschüttert. Selbst Krise und fortschreitende soziale Spaltung Europas haben daran nichts geändert. Eine neue theoretische und politische Synthese der vielfältigen sozialen Kämpfe in Europa und weltweit ist nicht in Sicht. Unter diesen Vorzeichen diskutiert Dipesh Chakrabarty erneut die Probleme und Perspektiven des einstmals revolutionären Begriffs der Klasse.
Indian historian Dipesh Chakrabarty is one of the leading exponents proponents of postcolonial critique. In Europe, he is most widely known for his book “Provincializing Europe”. The study investigates how the “old continent” served as a “silent referent in historical knowledge”: European political theory and imagery still dominate the global discourse, he argues, thus perpetuating Europe’s colonial and imperialist supremacy. Against the implicit European standard of modernity – of republicanism, liberalism statehood and capitalism – all non-European societies appear deficient and backward.
Does this criticism also apply to the concept of class – the focus of this year’s Marx Autumn School?
For Marx, as for the socialist regimes of the 20th century, class division was the fundamental source of contention within any given society. Liberation had to be achieved through class struggle. Yet as a dogma, the primacy of class itself became a tool of suppression. It reenforced the hegemony of the state socialist party apparatus and obscured other modes of domination beyond the stereotypical “contradiction of capital and labor”: colonial exploitation, nationalism, racism, antisemitism, patriarchal gender regimes, and other ideologies of inequality.
Since the 60s and 70s, poststructuralist and postcolonial authors have highlighted those very modes of subjugation, citing conceptual and political shortcomings of orthodox Marxism. The collapse of state socialism after 1989/90 has given this criticism a new spin: While deepening social divisions, the triumph of neoliberal capitalism has further deteriorated any notion of class. And there seems to be no prospect of a new theoretical and political synthesis. Under these problematic premises, Dipesh Chakrabarty embarks on a new reading of the once revolutionary concept of class.
im Anschluss:
7. Marx-Herbstschule goes ZEROIZE
unmade days. das federbett über dem kopf. einfach liegen bleiben. nichts müssen. das bett ein schiff, das durch wolken fliegt, im bauch eines schmetterlings. draußen bleibt draußen. kein soll und kein ist. kein früher, kein später. nur die mülltonnen im hof und auf der straße die baustelle. ungemachte sounds. laken in ungehörigen falten, weiß aus marmor gehauen. unnahbar, kalt und formbar. sich eine treppe bauen heraus aus dem nest: vergegenwärtigung von nicht unmittelbar gegebenem in der phantasie. sich nah sein natürlich, aber auch allein. dieser tag ruht wie eine deponie. und doch sucht sich der fluss ein neues bett.
Line Up:
Hagen Richter [btaim]
Heiko Laux [kanzleramt]
Jennifer Cardini [correspondant, kill the dj]
Milena Kriegs (live) [semantica, bts]
Ryan Davis (live) [traum, areal]
Silva Rymd [://about blank, electricdress]
Iaac [://aboutblank, stromperlen]
Beginn: 23:59
Ort: ://aboutblank, Markgrafendamm (S Ostkreuz)
Eintritt: 10 Euro (für Marxherbstschüler*innen 7 Euro)
Sonntag, 26.10.2014
9-10.30 Uhr: Arbeitsgruppen für Frühaufsteher
10.30-11.00 Uhr Kaffeepause
11-12.30 Uhr: Ceren Türkmen: Zum Klassenbegriff heute
12.30-13 Uhr Abschlussrunde
Den Reader könnt ihr hier herunterladen.
Inhaltsverzeichnis:
1. „Was mich nun betrifft …“,
Marx an Weydemeyer, 5. März 1852 (MEW 28: 508)
2. Die Ware Arbeitskraft,
Das Kapital, Bd. 1, 4. Kapitel (MEW 23: 180-184)
3. Juristische Aporie der eigentümlichen Ware,
Das Kapital, Bd. 1, 8. Kapitel (MEW 23: 245-249)
4. Der Kampf um den Normalarbeitstag,
Das Kapital, Bd. 1, 8. Kapitel (MEW 23: 315-320)
5. Relativer Mehrwert,
Das Kapital, Bd. 1, 14. Kapitel, (MEW 23: 531-535)
6. Reelle Subsumtion und Kapitalfetisch,
Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses (MEGA II/4.1: 63-65)
7. Die Arbeiterklasse als Zubehör des Kapitals,
Das Kapital, Bd. 1, 21. Kapitel (MEW 23: 591-599)
8. Umschlag des Aneignungsgesetzes,
Das Kapital, Bd. 1, 22. Kapitel (MEW 23: 605-610)
9. Industrielle Reservearmee,
Das Kapital, Bd. 1, 23. Kapitel, (MEW 23: 670-677)
10. Die trinitarische Formel,
Das Kapital, Bd. 3, 48. Kapitel (MEW 25: 822-826)
11. Die Klassen,
Das Kapital, Bd. 3, 52. Kapitel (MEW 25: 892-893)
12. Negation der Negation,
Das Kapital, Bd. 1, 24. Kapitel (MEW 23: 790-791)
13. Kommunistisches Manifest: I. Bourgeois und Proletarier
(MEW 4: 461-474)
Lexikalisches:
Friedhart Hegner: „Klasse, soziale“,
in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (HWPh), Bd. 4: 848-853
Michael Krätke: „Arbeiterklasse“,
in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM), Bd. 1: 442-463
hinzu kommt zur Reinlesen:
Dipesh Chakrabarty:
Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung. Frankfurt/Main 2010, S. 115-147.