28.10.-30.10.2022
15. Marx-Herbstschule

[English version below]

Boden, Rente, Miete – Ökonomie des urbanen Raumes bei Marx

Boden, Rente und Miete scheinen auf den ersten Blick nicht zentral für Marx’ Kritik der politischen Ökonomie zu sein. Zentraler und dringlicher sind andere Kategorien und Bestimmungen, wie etwa Wert, Geld, Ware, die Ware Arbeitskraft, Produktion und Zirkulation oder der Begriff der Klasse. Und doch findet sich gerade in den Kategorien Boden, Rente und Miete der Widerspruch von Arbeit und Kapital wieder!
Dadurch sind Boden, Rente und Miete aus gleich mehreren Gründen ein ebenso spannendes wie dringendes Thema. So scheinen diese Kategorien – und das macht zugleich die Schwierigkeit ihrer Bestimmung aus – einen abgeleiteten Status zu haben. Grund und Boden sind keine Produktionsmittel wie die Maschine, aber sie sind gleichwohl das erste und ursprünglichste Produktionsmittel überhaupt und werden im Kapitalismus, ob als landwirtschaftlicher oder städtischer Grund und Boden, zu Kapital. Sie werden im Kapitalismus mithin zu einer Einkommensquelle, die in Form der Rente einen Profit hervorbringt, der sich ebenfalls von demjenigen Profit zu unterscheiden scheint, der unmittelbar aus der Anwendung und Ausbeutung von Arbeitskräften resultiert. Und doch ist nach Marx auch die Grundrente Teil des Mehrwerts, der aus der Verwertung von Arbeitskräften hervorgeht.
Ein abgeleiteten Status scheint vor allem städtischem Grund und Boden zuzukommen. Sind Besitzer von Grund und Boden Kapitalisten wie Besitzer von Fabriken und Unternehmen? Sind ihre Gewinne Abzweigungen von Mehrwert, oder findet im Häuser- und Mietmarkt eine Art sekundäre Ausbeutung statt, etwa indem über Miete und Privatkredite Arbeitseinkommen finanzialisiert werden?
Es ist gerade dieser scheinbar indirekte, abgeleitete Status, an dem Marx’ Kritik einsetzt. Hier zeigt sich besonders gut, wie seine Kritik funktioniert: Einerseits Kritik falscher Vorstellung aufseiten der bürgerlichen Ökonomietheorie, aber auch in der sozialistischen Bewegung und im Alltagsverstand, indem andererseits entwickelt wird, wie der Zusammenhang bestellt ist – hier der Zusammenhang zwischen Verwertung von Arbeitskraft und Kapital einerseits und den vermittelten, abgeleiteten Formen des Profits in Gestalt von Rente, Miete etc. andererseits. Marx verwirft die Vorstellung, es handele sich bei Rente, Miete etc. um eigenständige Formen des Einkommens, nicht einfach als verkürzt oder falsch, sondern er begründet, warum ihr abgeleiteter Status solche Vorstellung hervorbringt.
Diesen Fragen wollen wir uns mit Marx, aber auch mit Engels’ Schrift zur Wohnungsfrage, auf der 15. Marx Herbstschule widmen. Wir wollen uns auf den städtischen und den landwirtschaftlichen Grund und Boden und ihre Einkommensarten konzentrieren, also auf Bodenpreise, Urbanisierung, Wohnen, Mietpreis und Grundstückspreise etc. Es soll zunächst um diese Basis gehen – die Folgen, die sich durch die kapitalistische, insbesondere die finanzkapitalistische Bewirtschaftung sowohl des städtischen als auch landwirtschaftlichen Grund und Bodens ergeben haben, sind zuletzt zum einen in der Finanzkrise 2008 und in der Diskussion um „Mietenwahnsinn”, Recht auf Stadt etc. und zum anderen im Zuge des Kriegs in der Ukraine deutlich geworden. Diesen Folgen, die vor allem die Entwicklung in der Zeit nach Marx betreffen, wollen wir uns im Rahmenprogramm widmen.

Programm:

Freitag I 28.10.22 I ab 16 Uhr
Anmeldung bei der Marxherbstschule

Freitag I 28.10.22 I 17-18:30 Uhr
Einführung ins Thema, Reader und die MEGA-Ausgabe
Mit: André Kistner, Prof. Rolf Hecker und Dr. Nadja Rakowitz

Freitag I 28.10.22 I 19-21 Uhr
Lesekreise in einzelnen Gruppen
Teamer*innen und Orga: Dimitra Alifieraki, Valeria Bruschi, Dr. Frank Engster, Christian Frings, Dr. Ehrenfried Galander, Thomas Gehrig, Tatjana Gossen, André Kistner, Christian Meyer, Dr. Nadja Rakowitz, Axel Rüdiger, Bafta Sarbo, Dr. Christian Schmidt, Jenny Simon, Mathias Ubl, Dr. Birgit Ziener.

Sonnabend I 29.10.22 I 10-13 und 14-18 Uhr
Lesekreise in einzelnen Gruppen (zur Pause: Mittagessen)

Samstag I 29.10.22 I 19 Uhr
Knut Unger: Finanzindustrialisierung oder Sozialisierung des Wohnungswesens

„Finanzindustrialisierung des Wohnungswesens“ meint die Finanzindustrialisierung ehemals gemeinnütziger und öffentlicher Wohnungsunternehmen und ihrer Tätigkeiten. Knud Unger untersucht, wie in diesem Sinne Standardwohnungen, die im Fordismus für die Reproduktion der industriellen Arbeitskraft massenhaft geschaffenen wurden, durch ihren Verkauf an “gemeinnützige” Wohnungsunternehmen und an Private Equity Fonds transformiert wurde. Durch diese Transformation entstanden die drei größten börsennotierten Wohnungsunternehmen. Die Entwicklung führte zu einer quasi industriell organisierten Abschöpfung von Masseneinkommen durch ein “industriell” organisiertes Segment großer Wohnungsunternehmen für ein ebenfalls “industriell” organisiertes Segment der transnationalen Finanzmärkte. Unger wird zeigen, wie die Finanzialisierung durch Wohnungskonzerne funktioniert, auf welche Weise durch kostenoptimierte Bewirtschaftung lebensnotwendiger, rarer Güter eine “Monopolrente” abgeschöpft wird und wie mit dem resultierenden “Cashflow“ und den Wertsteigerungserwartungen attraktive Finanzanlageprodukte für den globalen Kapitalmarkt konstruiert werden.

Sonntag I 30.10.22 I 9-11 Uhr
Lesekreis für Frühaufsteher*innen

Sonntag I 30.10.22 I 11 Uhr
Organisierung und Kämpfe im urbanen Raum
Diskussionsrunde mit: Dr. Sarah Uhlmann (Uni Jena), Dr. Andrej Holm und Jenny Stupka (Deutsche Wohnen enteignen)

Reader der 15. Marx-Herbstschule “Boden, Rente, Miete – Ökonomie des urbanen Raumes bei Marx”

Hier könnt ihr Euch den Reader auf deutsch herunterladen.

Inhaltsverzeichnis:

Boden, Rente, Miete – Ökonomie des urbanen Raumes bei Marx

1. “Die trinitarische Formel”
(Kapital, Bd. III, MEGA II 4.2, 7. Kapitel, S. 834-852, das entspricht ohne vier Bildseiten MEW 25 in der Reihenfolge: S. 826-831, 822-826, 831-839)

2. “Grundrente”
(Ökonomisch-philosophische Manuskripte 1844, “Grundrente”, MEW 40, S. 497-510)

3. “Das allgemeine Gesetz der Akkumulation”
(Kapital, Bd. 1, MEW 23, 23. Kapitel, S. 687-697)

4. Engels: Zur Wohnungsfrage
(MEW 18, S. 213-215 und 233-240)

5. “Der Umschlag des Kapitals”
(Kapital Bd. II, MEW 24, 12. Kapitel, “Die Arbeitsperiode”, S. 236-237

6. Über das Privateigentum und das Gemeindeeigentum
(Grundrisse, MEW 42, 1. Kapitel, S. 23)

7. “Baustellenrente. Bergwerksrente. Bodenpreis”
(Kapital, Bd. III, MEW 25, 46. Kapitel, S. 781-791)

[English version]

Land, Ground, Rent – Marx’s Economics of Urban Space

Land, ground, and rent do not seem, at first glance, to be central for Marx’s critique of political economy. More central and urgent are other categories, such as value, money, commodity, the commodity labor power, production and circulation, or the concept of class. However, it is precisely in the categories of soil, land, and rent that the contradiction of labor and capital can be found!
Thus, soil, ground, and rent is an exciting as well as urgent topic for several reasons. First, these categories seem to have a derived status – which at the same time constitutes the difficulty of their understanding. Land and soil are not means of production like the machine, but they are nevertheless the first and most original means of production of all, and under capitalism, whether as agricultural or urban land and soil, they become capital. Consequently, under capitalism, they become a source of income which, in the form of rent, produces a profit which also seems to differ from that profit which results directly from the valorization and exploitation of labor. And yet, according to Marx, rent is also part of the surplus value that results from the exploitation of labor.
A derived status seems to be assigned above all to urban land. Are owners of this land capitalists like owners of factories and enterprises? Are their profits diversions of surplus value, or does a kind of secondary exploitation take place in the housing and rental market, for instance by financializing labor income through rent and personal loans?
It is precisely this seemingly indirect, derivative status where Marx’s critique is striking. Here, the way in which his critique functions is shown in an almost classical way: On the one hand, critique of false ideas on the part of bourgeois economies, but also in the socialist movement and in everyday understanding, by developing, on the other hand, how the connection is ordered – and here he shows the connection between the valorization of labor power and capital, on the one hand, and the mediated, derived forms of profit in the form of pensions, rent, etc., on the other. Marx does not simply reject the notion that pensions, rent, etc. are independent forms of income as truncated or false, but he reasons why their derived status gives rise to such understandings.
We want to address these questions with Marx, but also with Engels writing on housing, at the 15th Marx Herbstschule. We want to focus on urban and agricultural land and their types of income, i.e. land prices, urbanization, housing, rent and land prices, etc. First of all, it will be about this basis – the further consequences that have resulted from capitalist, especially finance-capitalist management of both urban and agricultural land have become clear, on the one hand, in the financial crisis of 2008 and in the discussion about “Mietenwahnsinn”, right to the city, etc. and, on the other hand, in the course of the war in Ukraine. These consequences, which primarily concern the development after Marx, will be part of the framework program. Unfortunaltely we cannot provide an translation into English for this framework program this year.