9. Marx-Herbstschule (4.–6.11.2016)
Marx‘ Begriff der Revolution


1917 jährt sich ein Ereignis zum hunderdsten Mal, dessen Folgen das „kurze 20. Jahrhundert“ (Iván T. Berend) beherrschten: die Russische Revolution. Der Jahrestag ist Anlass für die Marx-Herbstschule, sich einem Begriff zuzuwenden, der eine der treibenden Kräfte für die Beschäftigung mit Marx auf den Punkt bringt, nämlich dem Begriff der „Revolution“. Wir wollen damit auch die beiden vergangenen Herbstschulen gleichsam zuspitzen, die sich dem Thema „Klasse“ sowie „Geschichte und Notwendigkeit“ gewidmet hatten.
Allerdings wird mit Marx der Begriff der Revolution gleich in doppelter Hinsicht verbunden. Zum einen blieb das durchgehende Ziel in Marx‘ Schriften, bei allen Wandlungen und Umbrüchen, die Überwindung des Bestehenden und die Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein „geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist“. Zum anderen wird für Marx‘ ökonomiekritische Schriften selbst eine – zumindest wissenschaftliche – Revolution beansprucht, nämlich auf dem Feld der politischen Ökonomie.
Indes gibt es eine Beziehung zwischen Marx‘ Verlangen nach Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse und deren Darstellung. Beides kommt zusammen im „Kapital“. Zum einen bricht das „Kapital“ mit dem bürgerlichen Selbstverständnis über die kapitalistische Gesellschaft einschließlich der damaligen Ökonomietheorie. Zum anderen will das Werk die Veränderbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise sowie die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft aus eben dieser Produktionsweise selbst begründen, vor allem durch die Bestimmung ihrer inneren Widersprüche, ihrer Dynamik und ihrer Krisenhaftigkeit.
Karl Marx hat sich mit denjenigen Revolutionen und Aufständen auseinandergesetzt, die bereits stattgefunden hatten und deren sozialistische Fortführung und Vollendung er vor allem ab 1848 geradezu regelmäßig erwartete, nämlich mit den bürgerlichen Revolution(en) und den Revolutionen nationalstaatlicher Unabhängigkeitsbestrebungen. Dazu kommt die Beschäftigung mit den wissenschaftlichen und technischen Revolutionen seiner Zeit, vor allem mit der industriellen Revolution und mit Darwins Evolutionstheorie.
Es gibt also keinen einheitlichen Revolutionsbegriff bei Marx. Marx hat sich ebenso mit den politischen Revolutionsbestrebungen wie mit den wissenschaftlichen und den technischen Revolutionen seiner Zeit auseinandergesetzt, und er hat sich, noch darüber hinaus, mit einer kommenden Revolution und einer anderen Gesellschaft beschäftigt. Die einzelnen Lesegruppen der Marx-Herbstschule werden sich vor allem den Etappen widmen, die zu Marx` politisch-ökonomischem Revolutionsbegriff geführt haben. Wir haben dafür eine grobe Dreiteilung vorgenommen:

1. Texte vor 1848, in denen sich Marx nach seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie einen politischen Revolutionsbegriff erarbeitet – auch in Abgrenzung zum bürgerlichen Revolutionsbegriff.
2. Texte um das revolutionäre Jahr 1848, in denen Marx sich mit den weltweiten revolutionären Entwicklungen und Umbrüchen auseinandersetzt, und
3. Texte aus dem Umfeld der Kritik der politischen Ökonomie, in denen Marx im Zuge einer wissenschaftlichen Bestimmung der kapitalistischen Produktionsweise nach den Möglichkeiten ihrer Revolutionierung sucht.

PROGRAMM

Freitag, 04.11.2016
16.30 Uhr: Anmeldung
17-18.30 Uhr: Marx‘ Begriff der Revolution: Begrüßung und Einführung
Mit Nadja Rakowitz und Christian Frings
18.30-19 Uhr: Pause
19-21 Uhr: Start der Arbeitsgruppen
Mit den Teamer*innen:
Valeria Bruschi, Anneli Echterhoff, Christian Frings, Ehrenfried Galander, Thomas Gehrig, Anne-Kathrin Krug, Nicolas Drexel, Christian Meyer, Renate Mohl, Nadja Rakowitz, Christian Schmidt u.a.

Samstag, 05.11.2016
10-13 Uhr: Fortsetzung der Arbeitsgruppen
13-14 Uhr: Mittagessen
14-17.30 Uhr: Fortsetzung der Arbeitsgruppen
17.30-19 Pause
19 Uhr: Abendveranstaltung
„Der politische Marx und die Übereinkunft von Antagonismus und Kommunismus“
Mit Prof. Antonia Birnbaum (Paris)
Der Begriff «Kommunismus« antwortet auf zwei verschiedene, aber doch verbundene Probleme. Es gibt zum einen den Kampf gegen den kapitalistischen Klassengegner – dieser Kampf aktualisiert die Widersprüche der kapitalistischen Wirklichkeit. Und es gibt zum anderen den Versuch, durch die Erfindung assoziativer und solidarischer Lebensformen ein kollektives Leben zu gestalten jenseits von Herrschaft und jenseits der „eisigen Wasser“ des egoistischen Kalküls.
Marx‘ Begriff des Kommunismus wird meist auf das erste Moment zurückgeführt, auf den Antagonismus und den Klassenkampf, während das zweite Moment, die Idee des Gemeinsamen und eines kollektiven Zusammenlebens, eher den Frühsozialisten und Utopisten zugeschrieben wird. Der Vortrag will dagegen zeigen, dass sich beim frühen Marx beides überkreuzt. Mithilfe der Texte, die vor den Niederlagen von 1848 geschrieben wurden, wie etwa die Philosophisch-ökonomischen Manuskripte von 1844 und Artikel aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, gilt es die Logik dieses Zusammentreffens aufzusuchen. Sie führt zu einer rätselhaften Übereinkunft in diesen Texten: zur Gleichzeitigkeit von revolutionärem Kampf und Idee des Kommunismus, von unversöhnlichem Antagonismus einerseits und dem Gemeinsamen der Kämpfe und der Erfahrungen andererseits.

Referentin: Antonia Birnbaum,
Professorin für Philosophie, lehrt an der Fakultät für Philosophie der Universität Paris 8. Sie versucht erneut aufzunehmen, was erstmals Marx formulierte, nämlich dass emanzipatorische Begrifflichkeit nur ausgehend von den Revolten und von praxis-immanentem Denken produziert werden kann. Diese Bindung von Theorie an das Wissen der Unterdrückten ist, wofür der Begriff «Kritik« steht.
Eintritt: 2,00 Euro
Ort: Münzenbergsaal, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring Platz 1, Berlin

Sonntag, 06.11.2016
9-10.30 Uhr:Arbeitsgruppen für Frühaufsteher
10.30- 11 Uhr:Kaffeepause
11-12.30 Uhr: “Streit ob organisch – in natürlichem verlauf oder revolutionär” … lautet ein Eintrag in Brechts Notizbuch aus dem Jahre 1927. Hinter dieser Frage verbirgt sich nicht nur eine geschichtsphilosophische Überlegung, sondern auch eine ästhetische. Sie betrifft auch die Darstellung. ‘Die unmögliche Möglichkeit’ (Derrida) der Revolution kann vielleicht als eine Kraft begriffen werden, die Brechts Theater unablässig erneuert.
Mit Prof. Matthias Rothe (Minneapolis, USA)
Eintritt: 2,00 Euro
Ort: Münzenbergsaal, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring Platz 1, Berlin
12.30-13 Uhr: Abschlussrunde

READER

Der Reader enthält folgende Passagen:
1. Vor der Revolution 1848
Kritische Randglossen (zu Ruge), 1844 (MEW1, S. 392-409)
Das Elend der Philosophie, 1847
- Auzug aus §1. Methode (MEW4, S. 130f.)
- §5. Streiks und Arbeiterkoalitionen (MEW4, S. 175-182)
Zur Revolution von 1848
Rezension zu Guizot, Februar 1850 (MEW7, S. 207-212)
Revue, Mai bis Oktober 1850, Auszug (MEW7, S. 439f.)
Der 18. Brumaire, Einleitung, 1852 (MEW8, S. 115-118)
Die Revolution in China und Europa, 1853 (MEW9, S. 95-102)
Kritik der politischen Ökonomie und Revolution
aus den Grundrissen, 1857/1858 (MEW42)
- Verkehrsverhältnisse und Sprengversuche (S.91-93)
- enormes Bewußtsein (S. 347f.)
- die universelle Tendenz des Kapitals (S. 445-447)
aus Das Kapital, erste Auflage, 1867 (Faksimile)
S. 472-496 (entspricht Kap. 13.9 und 13.10 in MEW23)

Hier findet ihr den Reader als (PDF) zur Vorbereitung.